- Verlag: : TRANSIT
- ISBN: 978-3-88747-394-5
Warum bilden ausgerechnet Geschwisterbeziehungen den Schauplatz für Dramen, die eher zu den Eltern gehören als zu ihnen?
Immer wieder bricht Familienvergangenheit bedrohlich ein in die Nähe zwischen den Schwestern Kati und Eva …
Leseproben aus dem Roman:
Aber Eva war noch nicht fertig. Heftig schüttelte sie den Kopf.
»Du, du… Ich glaube, du hast immer gedacht, das ist alles allein deine Sache und du hast jedes Recht, sie auf deine Weise durchzuziehen.Aber warum, frage ich dich jetzt –« Sie blieb stehen, schlug die Arme unter und sah Kati herausfordernd an. »Wenn es deine Sache und dein Recht war – warum hast du es dann nicht für dich durchgezogen und die anderen verschont? Wieso hast du uns das angetan? Hättest du nicht wegbleiben und für dich mit alldem fertigwerden können? Wieso hat das deine Therapie nicht geleistet? Wieso hast du etwas, das eine Sache zwischen dir und ihm war, nicht da gelassen, wo es hingehörte?«
Kati blieb wie angewurzelt stehen. »Eva, sag, dass das nicht dein Ernst ist.« Von hier aus ging es keinen Schritt weiter. »Eine Sache zwischen ihm und mir? Bist du wahnsinnig? Du meinst nicht wirklich, dass etwas, das im Elternhaus stattfindet, das in Heimlichkeit Jahre einer Kindheit begleitet und das Potenzial hat, ein Leben zu zerstören –, dass das den Rest der Familie nichts angeht? Dass es von ihnen ferngehalten werden soll?«
Kati will mehr wissen über die Lebensgeschichte des längst verstorbenen Vaters. Und so forscht sie diesem, ihr letztlich unbekannten Leben nach, bis zurück in die Zeit des Zweitens Weltkriegs …
Was ich inzwischen zu verstehen glaube: Der fühlende Mensch kann zerstört werden. Das ist es, was mir die Stimmen der Männer sagen, die als Soldaten im Krieg waren und ihn überlebt haben. Wenn von dir verlangt wird, zu töten und bereit zu sein, dich töten zu lassen, – wo bleibt dann das innere Zentrum aus Empfindsamkeit, Lebensfreude und Mitgefühl, das Verletzlichkeit voraussetzt? Die Chancen, all das zu entwickeln, standen für dich schon schlecht, lange bevor der Krieg begann; ein behindertes Kind, das statt gefördertzu werden, kalt ausgegrenzt und abgetrennt wurde.
Was will ich damit sagen, Vater? Es wundert mich nicht mehr, dass du in der Lage warst, mir das anzutun, was du mir angetan hast. Vielleicht gibt es ja sogar eine Art Zwang, in der Spur zu bleiben, in die du als Kind und junger Mensch gezwängt wurdest? Denn natürlich hast du deine Kindheit, deine Jugend, nie hinter dir gelassen.
Was dann passiert ist … ich glaube inzwischen, dass solche über jedes Maß hinaus Verletzten wie du zu Dickhäutern werden, wenn sie die Möglichkeit nicht gefunden haben, ihre finsteren Ecken ins Licht zu holen. Sie werden rustikal, ja, erbarmungslos in den Zumutungen an ihre Kinder. Sie sind in Gefahr, die Kinder in ihre eigenen Schmuddelecken reinzuzerren. Sie haben keine Ahnung, wie mandiese Unordnung wieder aufräumen könnte.«
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